
Berlin/London (dpa) - Kurz vor Mitternacht sah es vor dem Wembley-Stadion aus wie vor Corona. Die Londoner Polizei sperrte vorübergehend den Zugang zur U-Bahn, für Hunderte Fans gab es dicht gedrängt kein vor oder zurück.
Der Stimmung der bestens gelaunten italienischen Anhänger tat das nach dem Final-Einzug gegen Spanien zwar keinen Abbruch - der sorglose Umgang mit dem Virus in der Schlussphase der Fußball-EM sorgt aber weiterhin für Kritik.
Vor den Finaltagen stellte die europäische Gesundheitsbehörde ECDC einen erheblichen Anstieg der Infektionen im Zusammenhang mit dem Turnier in elf über den Kontinent verteilten Städten fest. Bis zum Ende der dritten Woche habe es mehr als 2500 Fälle in sieben Ländern gegeben, die sich mit der EM in Verbindung bringen ließen, bestätigte die EU-Agentur auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Die Entwicklung sei angesichts der Corona-Lage «nicht unerwartet», sagte die zuständige Direktorin Vicky Lefevre. Großveranstaltungen mit Menschenmassen seien weiter mit Risiken behaftet.
►Zuschauerzahlen in England lösen Unverständnis aus
Um die Austragung der EM während der Pandemie und die Zulassung Tausender Zuschauer war vor allem in Deutschland heftig debattiert worden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte die Haltung der Europäischen Fußball-Union (UEFA) als «absolut verantwortungslos» bezeichnet. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich im Hinblick auf die Zulassung von 60.000 Fans bei Halbfinals und Endspiel im Londoner Wembley-Stadion «sorgenvoll und skeptisch».
Am Dienstagabend im ersten Halbfinale waren es 57.811 Menschen in der Arena. Die Stimmung war großartig, doch auf Masken oder Abstandsregeln achtete kaum noch jemand, ganz besonders nicht bei den Toren oder nach Italiens Sieg im Elfmeterschießen. Ähnliche Szenen werden am Abend beim zweiten Halbfinale zwischen Gastgeber England und Dänemark erwartet. Zwar gilt eine Testpflicht - das Selbsttest-Resultat müssen die Stadionbesucher jedoch nur online eintragen, überprüft wird das Ergebnis nicht.
Die Bilder aus London passen aber zur Öffnungsstrategie in Großbritannien, wo sich die als ansteckender geltende Delta-Variante am stärksten ausbreitet. Insbesondere wegen der hohen Impfquote soll ab dem 19. Juli der Alltag endgültig zurückkehren, die Engländer können dann auch wieder in Clubs feiern und zwanglos in Pubs dicht an dicht ihre Getränke genießen. Möglicherweise werden in der Woche ab dem 19. Juli weitere Erkenntnisse über das Infektionsgeschehen rund um das Wembley-Stadion in diesen Tagen vorliegen.
«Ich bin zuversichtlich, dass es keinen großen Ausbruch geben wird, aber wir können das zur Zeit nicht garantieren», sagte der britische Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng dem Radiosender LBC. «Ich glaube, wir können mit diesem Risiko umgehen. Aber zu sagen, es gäbe kein Risiko, wenn Tausende von Menschen an einem Ort sind - es gibt immer ein Risiko im Leben.» Am Trafalgar Square in London findet ein Public Viewing statt.
taz
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